Giftgasmär zeigt, es geht auch ums Wasser
von Alfred Weber, 17.2.2003
An allen unseren Medien (außer der "Jungen Welt") ging eine höchst
brisante Veröffentlichung in der New York Times vom 31.Januar dieses
Jahres vorbei.
Der ehemalige, hochrangige CIA-Mitarbeiter Stephen C. Pelletiere
stellt darin die erst wenige Tage vorher von Bush in seiner State of
the Union Address als moralische Rechtfertigung einer Invasion im Irak
angeführte "Tatsache", dass Saddam absichtlich seine eigene
Zivilbevölkerung mit Giftgas getötet habe, in Frage.
Stephen C. Pelletiere, der während des Irak-Iran-Kriegs Chefanalyst
(senior political analyst) des CIA für den Irak war, von 1988 bis 2000
als Professor am Army War College unterrichtete und im Jahr 1991 eine
Army Untersuchung darüber geleitet hat, wie der Irak einen Krieg gegen
die Vereinigten Staaten führen würde. Dabei hatte her Zugang zu sehr
vielen Geheimdokumenten über die Region am persischen Golf. Unter
anderem befand sich darunter auch ein direkt nach der Giftgasschlacht
um Halabja erstellter Geheimbericht des militärischen Geheimdienstes
DIA (Defense Intelligence Agency), in welchem festgestellt wurde, dass
die Kurden in Halabja nicht an irakischem sondern an iranischem
Giftgas gestorben seien. Eine Untersuchung der Leichen habe nämlich
ergeben, dass die Menschen mit einem Blutkampfstoff auf Zyanidbasis
getötet worden waren, den die Iraker zu jener Zeit nach Erkenntnis des
Geheimdienstes nicht zur Verfügung hatten. Statt dessen setzte der
Irak gegen iranische Truppen Senfgas ein.
Der unter Leitung von Pelletiere verfasste geheime Teil des Army
Untersuchungsberichtes machte darüber hinaus deutlich, dass das
Giftgas von Halabja nicht gegen Zivilisten gerichtet war, sondern im
Laufe einer Schlacht zwischen irakischen und iranischen Truppen zum
Einsatz kam.
Das Interessante an Pelletieres Artikel ist, dass er deutlich macht,
dass diese Informationen zwar schon lange der Öffentlichkeit zur
Verfügung stehen, aber bei Diskussionen des Halabja Zwischenfalls
zumeist unterschlagen werden.
Es würde ja auch nicht zu dem Vorwurf der Bush-Regierung und großer
Teile der Presse passen, dass Saddam an seiner eigenen Bevölkerung mit
Giftgas einen Genozid begangen habe.
Noch interessanter - anscheinend aber nicht für die "Junge Welt" - ist
ein dritter von Pelletiere erwähnter Aspekt der Schlacht um Halabja:
Demzufolge eroberten die iranischen Truppen die Region um Halabja,
weil sie Kontrolle über den Darbandikhan Staudamm im Kurdengebiet
gewinnen wollten. Dieser war Teil des komplexen Systems von Staudämmen
und Flussregulierungsprojekten, welches der Irak vor dem Golfkrieg von
1991 aufgebaut hatte.
Der Irak verfügt nämlich am Golf nicht nur über den Euphrat und den
Tigris, sondern auch noch über den Gößeren und Kleineren Zab im
Norden. In den 90er Jahren wurde die sogenannte "Peace Pipeline"mit
deren Hilfe Wasser von Euphrat und Tigris zu den ausgetrockneten
südlichen Golfanrainern und, mittels einer Verbindungslinie, bis nach
Israel gebracht werden sollte heiß diskutiert. Wegen Iraks Widerstand
ergaben sich allerdings keine Fortschritte in diese Richtung.
Mit einer Invasion im Irak seitens der Amerikaner könnte sich dies
alles ändern. Laut Pelletiere könnten die USA die Situation im Nahen
Osten auf dauerhafte Weise zu ihren Gunsten umgestalten und zwar indem
sie zusätzlich zum Öl auch das Wasser des Iraks kontrollierten.
Während Pelletiere in diesem Zusammenhang auf die lukrativen Geschäfte
für amerikanische Gesellschaften, die sich dabei eröffnen würden,
verweist, erklärt sich für mich aus dem was er sagt der merkwürdige
Optimismus, mit dem die Bush-Regierung meint die anderen arabischen
Länder für sich gewinnen zu können, wenn der Irak erst mal "befreit"
und "demokratisiert" sei: Mit dem Pfand des Wassers läßt sich immerhin
gut wuchern, sprich die Willfährigkeit der wasserarmen, südlichen
Länder der Region erkaufen.
Im Originalwortlaut ist der Beitrag Pelletieres zu finden unter
www.nytimes.com/2003/01/31/opinion/PELL.html
Das Runterladen ist umsonst, man muss sich allerdings anmelden. Geht
aber blitzschnell.
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